Eine Studie über ein bewußteres Umgehen mit Rhythmus und Klang, deren emotionale Auswirkungen auf die Empfindungen der menschlichen Seele und deren Bedeutung
„Die Geheimwürckung des zusammenstimmenden oder wiedersinnischen Thons, consonanz oder dissonanz, ist nichts anders, als die Krafft und Wissenschaft solch wunderlich würckenden Thon zu wegen zu bringen, welche Wissenschaft gewisslich under den Geheimkünsten nicht die geringste ist, denn in manchem Thon und Hall eine solch ziehend- und bewegende Kraft sich findet und verborgen ist, dass es manchmal ohnmöglich, dass menschlicher Verstand die rechte und eigentliche Ursach solcher verborgenen Krafft sollte ergründen können.“ (Athanasius Kircher)
Vorwort
In zahlreichen, teilweise sehr kontrovers geführten Diskussionen, scheint sich ein bestimmter Sachverhalt als scheinbar unlösbar herauskristallisiert zu haben. Ich selbst bin nicht glücklich darüber, dass sich an diesem Punkt die Geister scheiden:
Es ist der Begriff Energie. Dieser bildet aber auch nicht den Ausgangspunkt der Diskussion, sondern entsteht vielmehr aus der Reflektion der Thematik, die den folgenden Ausführungen zu Grunde liegen.
Alles dasjenige, was in irgendeiner Weise die Empfindung des Menschen beeinflusst, was die Seele des Menschen sich bewegen lässt und sei es ein noch so subtiles Erzittern hervorruft, hat in einer solchen Kraft, einer, wie es Kircher im o.g. Zitat ausdrückt, ziehend- und bewegenden Kraft seine Ursache. Nicht nur die physikalisch messbare Größe ist gemeint, sondern auch diejenigen Kräfte, um bei dem Ausdruck zu bleiben, die eben nicht physikalisch messbar sind und beispielsweise der Frage, und dies ist eine von einer schier unendlichen Anzahl gleicher oder ähnlicher Fragen, nachgehen, warum beispielsweise die Schlusswirkung eines Musikstückes durch ein vorgeschaltetes Ritardando (ein langsamer werden) im Wirksamkeitsgrad erhöht wird?
Diese ziehend- und bewegenden Kräfte werden in den folgenden Ausführungen mit dem Begriff Energie be- und umschrieben. Im Zuge derselbigen wird sich der ein oder andere Zweifel der Leser an der Benutzung dieses Wortes auflösen, wenn in ihnen mein Bemühen, über etwas eine Abhandlung zu schreiben, für das es in unserer Sprache noch keine eindeutige Begrifflichkeit gibt, für das letztlich sowieso nur diejenige kunstbeflissene Seele Antennen entwickeln kann, bei der gewisse innere reflektorische Instinkte schon angelegt sind, ebensolche Instinkte aufkeimen lassen sollte.
Stille
Wie aus der Stille an einem bestimmten Punkt auf dem Strahl der Zeit für eine Weile ein Musikstück entsteht, einen, kosmisch gesehen, winzigen Augenblick existiert, die Empfindung derjenigen Wesen, die es hören, je nach subjektiver Befindlichkeit beeindruckt, um wieder zu vergehen, damit wieder Raum für Neues geschaffen wird, so können aus den Dingen, die das Wesen der Welt bestimmen nur einige in den Fokus der Betrachtungen über Musik und deren teilweise verborgenen Verbindungen zu den Gesetzen der Welt gerückt werden. Alles, so geht es dem Forscher, der sich mit den Grundgesetzen der Kunst beschäftigt, auf, hängt miteinander zusammen. Wirkende Kräfte finden sich in der gleichen oder einer ähnlichen Erscheinungsform in ganz unterschiedlichen Bereichen der Welt. Können wir doch beispielsweise immer wieder Vergleiche ziehen zwischen Eigenschaften der menschlichen Psyche und Dingen aus der Natur. Sind doch die vier verschiedenen Grundcharaktere des Menschen den vier Elementen zugeordnet worden. Was hat die frühe Wissenschaft beispielsweise bewogen, das cholerische Temperament dem Feuer zuzuordnen?
Gleichen doch die Eigenschaften des Feuers in ihren charakteristischen Erscheinungsformen, ihren dynamischen Abläufen, ihrer energetischen Disposition, etc. den charakteristischen Erscheinungsformen eines cholerischen Anfalles.
Ist nun ein Komponist vor die Aufgabe gestellt, ein „cholerisches Szenario“ in Musik umzusetzen, sollte er sich mit den entsprechenden Abläufen auseinandersetzen und in Rhythmus, Klang, Instrumentation, etc. versuchen, das Charakteristische umzusetzen, Feuer im Inneren des Betrachters 8also des Hörenden) quasi entstehen zu lassen.
Also sollte die Devise lauten:
Begebe dich in die Stille und horche hinein in den Kosmos der Dinge. Erspüre das Wesen dieser und versenke dich in es. Säuselt aus der Tiefe nicht der Gesang der Schöpfung, deren Kraft alles durchzieht, in welcher Erscheinungsform auch immer sie sich dir zeigt?
Dieses Hineinspüren und dasjenige, was wir durch ein solches sensibles Beschäftigen mit den Dingen an Erkenntnis erlangen, der Dialog mit den Erscheinungen, seien sie nun materiell oder im Falle der Kunst, die des materiellen Mediums bedarf, aber auf immaterieller Ebene wirkt, wird uns darauf hinweisen, dass alles miteinander zusammenhängt und auf den gleichen Gesetzen beruht. Da ich nun selber Musiker bin, möchte ich hier nochmals darauf hinweisen, dass ich Begriffe wie Gesetze oder energetische Prozesse nicht im physikalischen oder juristischen Sinne benutze (was man im übrigen konsequenterweise gar nicht trennen sollte, da auch diese in das Geflecht des Ganzen gehören und aus der meditativen Kontemplation über die Phänomene der Natur und damit auch der menschlichen Verhaltensweisen entsprungen sind), sondern im Sinne von emotionaler Energie, gefühlter Intensität, welcher man sich bei der Betrachtung der Dinge ausgesetzt sieht.
In jedem Kunstwerk ist das universale Prinzip enthalten. Alles in der Welt ist Kunst und damit Spiegel der wirkenden Kraft, für die die Menschen so unterschiedliche Namen haben. In der Genesis I. Buch, Vers 27 ist gesagt, dass Gott die Menschen nach seinem Ebenbilde schuf. Sein Wille hat die Schöpfung hervorgebracht. In Allem ist Göttliches. Alles wird durchzogen, ist geformt und geordnet nach den Gesetzen der Natur. Deshalb können wir dieselben auch in jedem Teil des Ganzen finden, ganz im Sinne des hermetischen Leitgedankens „wie oben, so unten“.
Dies ist die Rechtfertigung der „vergleichenden“ Wissenschaft, die die Kunst als Spiegel der Weltgeschehnisse, auf welcher zeitproportionalen Ebene sich die Dinge auch abspielen (z.B.: Vergleich der Existensdauern eines Menschenlebens mit der unseres Sonnensystems, oder mit der Existensdauer einer Eintagsfliege), aufzeigt. So sind auch die Künstler unter den Menschen auserkoren, auf individuelle Weise, in ihrer jeweiligen Disziplin, indem sie innerhalb ihrer Daseinsparameter, d.h. in den zeitlichen und räumlichen Größen ihres mikrokosmischen Bereiches „erschaffen“, Vermittler und Hinweiser zu sein auf dasjenige, was die Welt zusammenhält, nämlich die oben aufgeführten so genannten Gesetze, „ziehend und bewegende Kraft“, wie Kircher es nennt, also energetische Strukturen, dynamische Abläufe, proportionale Größen, Hierarchien und Abhängigkeiten, Zyklen, farbliche Aspekte, etc. hinzuweisen (hin und wieder ist das Bemühen festzustellen, sich aus dieser proportionalen Ebene heraus zu erheben. Siehe beispielsweise John Cage: Orgelstück Organ 2/ASLSP. Angedachte Spieldauer: vorgesehen bis zum Jahre 2640).
Die Musik hat den scheinbaren Nachteil, dass ihre Kommunikation nicht auf der für die Menschen üblichen Basis stattfindet, nämlich der Sprache, sondern sie hat ihre eigene Sprache, die derjenigen der Menschen so sehr gleicht und doch nicht verstanden wird, obwohl die Sprachen der Menschen nichts anderes sind als Musik. Die Zuordnung zu der Welt der Begrifflichkeiten ist innerhalb der sozialen Systeme, in denen ein Mensch aufwächst, erlernt worden. Die Verknüpfung bestimmter phonetischer Äußerungen, die ja nichts anderes sind, als durch die Laut erzeugenden Werkzeuge unseres Körpers generierter Klang, mit den Erscheinungsformen unserer Welt, ist somit die „gewohnte“ Art und Weise der Kommunikation. Hierin liegt auch die Tatsache begründet, warum der Mensch sich so schwer tut, sich auf andere Kommunikationsebenen einzulassen, wie z.B. die wortlose Kommunikation mit Tieren, denen in vergangenen Zeiten und leider noch in unser heutigen „aufgeklärten“ Zeit die Fähigkeit, eine Kommunikation zu führen schlicht abgesprochen wurde. Diese Art der Kommunikation ist zwar wortlos, aber eben nicht inhalts- (oder eben klang-!) los und damit durchaus kommunikativ!
Der Mensch lebt, auf die Menschheitsentwicklung insgesamt bezogen, in dieser Zeit seiner Entwicklungsphase mit einem generellen Grundvertrauen in seinen Ratio. Dieser ist die alleinherrschende Beurteilungsinstanz in der Auseinandersetzung mit den Erscheinungsformen der Welt. Die Menschheit befindet sich viel zu tief in der Materie, oder sagen wir zur Verdeutlichung, der Mensch ist viel zu sehr auf das Materielle fokussiert, sodass die alten Begabungen des intuitiven Erfassens und die Wahrnehmung mit dem geistigen Auge in die tiefsten Abgründe der menschlichen Existenz verbannt worden sind.
Bei Wahrheiten und Gegebenheiten, die aus einer solchen Art und Weise der Betrachtung entspringen, gerät die sprachliche Kompetenz des Durchschnittsmenschen an ihre eng gesteckten Grenzen.
Das jedoch liegt nicht an der Disziplin an sich, sondern an der Tatsache, dass der Urzugang zu den Geheimnissen der den Menschen umgebenden Dinge zunächst ein emotionaler war. Die Herangehensweise, das Unbekannte zu erforschen, ihm näher zu kommen, war ein gefühlsmäßiges Erfassen von Formen, Eigenschaften, etc., demjenigen, was die Botschaft des zu betrachtenden Dinges an die Sinne war. Selbst die rationalen Wissenschaften haben zum Grund das rein emotionale Abwägen, bevor Formeln, Sätze, etc. die Voraussetzung liefern, sich mehr und mehr ausschließlich rational mit demjenigen, was wir in den Focus wissenschaftlicher Betrachtungen stellen, zu befassen. Alles wird zunächst emotional „erfühlt“ und dann erst an den Ratio zur Verarbeitung weitergegeben (Siehe weiter unten: Vorbereitung).
Die Auseinandersetzung mit dem Wesen der Dinge und der Suche nach Gesetzmäßigkeiten, die universell anwendbar sind, ist für die Menschen jedoch von existenzieller Wichtigkeit. Denn in dem Maße, wie das Verständnis für Ursache und Wirkung geschärft und damit das Bewußtsein, besser noch die Bewußtheit erweitert ist und wird, in dem Maße nimmt sowohl die Unabhängigkeit des Menschen von indoktrinativen Einflüssen, als auch das Maß an Entscheidungsfreiheit zu. Das Verständnis für die uns umgebende Welt verstärkt sich, die Zuneigung und Liebe zu der Welt, die uns umgibt, vertieft sich, weil Wesensähnlichkeit erkannt wird.
Diese emotionale und eben auch energetische Verbundenheit ist Voraussetzung dafür, dass wir mit der Schöpfung sensibel und einfühlsam umgehen, dass wir erkennen, dass die uns umgebenden Dinge aus denselben Kräften heraus existieren wie wir Menschenkinder auch und dass wir diesen Dingen in genau der Art begegnen sollten, wie wir Menschen uns untereinander auch begegnen sollten, in Toleranz, Zuneigung, einem gewissen unaufdringlichem Interesse am anderen Individuum und den uns umgebenden Dingen gegenüber und mit der unbedingten Einsicht, dass das Wesen, welchem wir gegenüber stehen, diesen Planeten mit der gleichen Existenzberechtigung, wie wir auch bewohnt und also ein Chance zur Weiterentwicklung bekommen hat. Als Konsequenz ist die unbelebte Materie eben keine unbelebte Materie mehr, sondern sie ist beseelt, genau wie dasjenige, was der Mensch sich leichter als „beseelt“ vorzustellen in der Lage ist, nämlich diejenigen Existenzen, die derselben Gattung zugeordnet werden können.
Möge sich dieses Prinzip der Erkenntnis sehr bald auf alle die uns umgebenden Dinge ausbreiten und der Mensch voranschreiten in seiner geistig/seelischen Entwicklung.
I. Musik als Spiegel des Seins
1. energetische Vorgänge,
2. Dynamik von Abläufen
3. Proportionsebenen,
4. Zyklen
5. Beziehungsgeflechte, Hierarchien, Abhängigkeiten
6. Der farbliche Aspekt
„energetische Vorgänge“
Das Wesen eines klanglichen Ereignisses ist natürlicherweise mit dem Aufbringen von Energie verbunden. Die physikalische Energie, d.h. die Energie, die nötig ist, eine Saite oder Luftsäule zum Schwingen zu bringen, ist Voraussetzung dafür, dass wir überhaupt etwas wahrnehmen können. Wie im Vorwort schon angedeutet, möchte ich weniger von dieser reden, als von derjenigen, die in der Kausalkette natürlich nach der physikalischen Energie kommt, aber dennoch im Mittelpunkt der Betrachtung stehen soll: die Kräfte nämlich, die unsere emotionale und seelische Befindlichkeit in einen bestimmten Zustand versetzen.
Ich versuche diese durch ein bildliches Beispiel zu erläutern:
Nehmen wir an, unsere Empfindung sei ein Pendel in Ruheposition. Das Pendel wird nun durch den Einfluss der Kräfte, die sich in einem Musikstück entfalten, bewegt und in dem Maße der Intensität der Einwirkung aus dem Zentrum „gezogen“. Die Spitze des Pendels symbolisiert unsere Empfindung, seelische Disposition oder Befindlichkeit, die von den klanglichen Ereignissen in einen Erregunszustand versetzt wird, der sich in der Verschiebung dieser im Raum darstellen soll. Das Maß der Erregung unserer Empfindung soll nun die Entfernung des Pendels zum Mittelpunkt des Raumes darstellen, wobei jene stets bestrebt ist, zum Mittelpunkt, ihrem Energieminimum zu kommen und dort auch zu verweilen. In einer dreidimensionalen Darstellung könnte man sich eine Kugel vorstellen, die an einem bestimmten Punkt im Raum im Zustand eines Energieminimums verweilt und durch das eben erwähnte Maß der Erregung unserer Empfindung durch den Raum bewegt wird. Richtung und Stärke der Bewegung hinge von der Art und Weise des Einflusses der Parameter von Musik, wie Klangfarbe, Lautstärke, etc., ab.
Das Zusammenspiel der verschiedenen Parameter von Musik bewirkt, dass sich unsere Empfindung während der Dauer des Stückes ständig „in Bewegung“ befindet, um sich nach dem Ende eines Musikstückes wieder in Ruheposition zu begeben.
Als eine weitere Allegorie eines solchen „bewegt werdens“, könnte man es auch als Reise bezeichnen, während der unsere Empfindung viele verschiedene „Länder“ durchreist, welche, je nach subjektiver Befindlichkeit, verschiedene Gefühlslagen hervorbringt und „Eindrücke“ hinterlässt.
Wohin die Bewegung geht, oder, um in unserem graphischen Beispiel zu bleiben, an welche räumliche Position das Pendel oder die „Kugel“ als Symbol unserer seelischen Befindlichkeit während des Erlebens von Kunst, hier speziell durch den Einfluss von Musik, getrieben wird, ist abhängig von der Art und Weise des Zusammenspiels der Parameter. Grundsätzlich tendiert das Pendel/Kugel, wie oben erwähnt zum Ausgangspunkt ihrer Bewegung.
In der Stille befindet sie sich also in der Ruheposition als Ort des Punktes ihres Energieminimums.
(Bei folgendem Beispiel den Magnifikat-Choral betreffend, habe ich mich anregen lassen von einem sehr guten Buch mit dem Titel „Schule musikalischen Denkens“ von Christoph Hohlfeld und Reinhard Bahr, welches von dem hier thematisierten Sachverhalt seinen Ausgang nimmt.)
2. Dynamik von Abläufen
Nehmen wir ein Beispiel aus der Einstimmigkeit eines Gregorianischen Chorals:
(Und meine Seele erhebet sich in meinem Herrn zu meinem Heil)
Versuchen wir den energetischen Verlauf dieses Chorals anhand des Ductus dieser Melodie aufzuspüren.
Die Melodie beginnt auf dem Ton g, der Finalis.
Zunächst zur Begrifflichkeit:
Finalis ist hier aufzufassen als die Untergrenze der in der Melodie vorkommenden Tonhöhen. Sie ist der Urgrund, diejenige Kraft, in die sich nach dem Erheben der Melodieduktus wieder hinabfallen lassen muss, um zur Ruhe zu kommen, der Hafen, aus dem das Schiff der Empfindung zu seiner Reise ausläuft, um schließlich wieder einlaufen zu können. Sie gleicht der Position des Pendels in Ruheposition, zu welcher es strebt.
Gleichzeitig ist sie die Voraussetzung für das Sichentwickelnkönnen einer von ihrer Ebene losgelösten, aber doch in einer gravitierenden Abhängigkeit stehenden höheren (Melodie-) Ebene. Sie ist die (tonale) Heimat, ohne die eine Reise nicht möglich wäre.
In ihr ist der Wille vorhanden, diejenige Kraft, die das Weitere hervorbringt, nämlich in diesem Falle, die Betgeste zu vollziehen, die sich im Aufwärtsstreben des Melodieduktus offenbart.
Die zündende Energie ist in diesem Fall die an die göttliche Instanz gerichtete Dankbarkeit, der Wille, den Körper aufzurichten, den inneren und äußeren Blick, die Arme aus der Glückseligkeit des Dankgefühles gen Himmel zu richten und mit akklamatorischer Eindringlichkeit die innere Befindlichkeit zu äußern.
Sie ist sozusagen die erste physikalisch messbare Transformation der Idee, des klanggewordenen Urgedanken, die erste Manifestation dieser Idee, des Willen zur Handlung, in diesem Fall der Beetgeste.
Die Entstehung:
Am Anfang ist das Empfinden, das Gefühl, hier die Glückseeligkeit darüber, dass Maria die Auserkorene ist, Jesus in ihrem Bauch tragen zu dürfen.
Die Frucht dieses empfundenen Gefühls ist dann der Wille zu der Handlung, der Gedanke, der diesem Gefühl in einem Dankesgebet Ausdruck verleihen zu wollen. Dies ist im platonschen Sinne die Idee, die wie eine Katalyternergie wirkt, indem sie bewirkt, dass sich der Gedanke, der sich aus dem Gefühl heraus entwickelt hat, in die Welt des Hörbaren, beziehungsweise in einer Bet- und Dankesgeste gen Gott gerichtet, transformieren kann. Die Wirkung der immateriellen Welt strahlt in ihren Auswirkungen in die materielle Welt hinein. Die Idee nimmt Gestalt an.
Der Einatmungsvorgang, das Einsaugen der für den Gesang und das Halten des gesteigerten Gestus der Tenorebene (siehe im Fortfolgenden) benötigten Luft setzt ein. Die Vorbereitung zum Hervorbringen des ersten Tones gipfelt im Erklingen der Finalis, die die erste, auf eine andere Wahrnehmungsebene „gehobene“ Transformation des ursprünglichen Gefühls darstellt.
Der Aufschwung:
Die Erhebung der Melodie ist derjenige Moment, in dem der Drang zur Beetgeste Gestalt annimmt. Der Blick richtet sich empor, der Körper richtet sich auf, die Arme werden der göttlichen Instanz entgegengestreckt. Ein Aufwärtsstreben des Melodieduktus versinnbildlicht die Geste.
Die akklamatorische Ebene, die Tenorebene:
Geistige und körperliche Kräfte sind zielgerichtet auf das Göttliche, die Verbindung zur höheren Instanz ist hergestellt. Alles befindet sich nun in einem gesteigerten Zustand. Dieser Zustand soll gehalten, der gesteigerte Gestus aufrechterhalten werden. Die innige Verbindung zur höheren Welt, die in der Geste gefühlt und erlebt wird, soll zelebriert werden.
Eine Ebene, die einem geistigen/seelischen Luftsprung ähnelt. Diese Ebene ist das zeitlich begrenzte „verweilen“ in dem von der Gravitation der Erde kurze Zeit losgelösten Zustand. Dies wäre der Situation des Pendels im Moment seines größten Ausschlages zu vergleichen.
Hat sich die Absprungenergie, im Falle des Pendels der Schwung bis zum äußeren Umkehrpunkt, verbraucht, beginnt die Anziehungskraft wieder an Einfluss zu gewinnen. Die Tenorale Ebene verliert an Kraft. Die Betgeste hat sich in ihrer Intensität, in ihrer Spannung verbraucht.
Dies ist der Beginn der Ausklangphase.
Die Ausklangphase, der Cadenzbereich:
Die Anziehungskraft der Finalis beginnt übermächtigen Einfluss zu nehmen. Die Energie der tenoralen Ebene ist verbraucht, der losgelöste Zustand nicht mehr aufrechtzuerhalten. Der Melodieduktus senkt sich wieder hinab in die Finalis, „der Grund“, der Heimathafen ist wieder erreicht. Die Atemluft ist verbraucht.
Dimensionen/Proportionsebenen:
Wir haben die obige Zeichnung zur graphischen Darstellung der energetischen Abläufe des Magnificat-Chorals benutzt.
Die zeitliche Ausdehnung des Bogens soll sich beispielhaft auf einen Atemvorgang beziehen.
Dieses Schema kann aber durchaus auf zeitlich Andersgeartetes übertragen werden, es ist universell einsetzbar. Wir könnten ebenso Werden, Bestehen und Vergehen kosmischer Ereignisse darstellen, wir könnten die Dynamik von Feuer oder eben, wie oben erwähnt, den Ablauf eines cholerischen Anfalles beschreiben. Die Liste ließe sich ins Unendliche Fortführen.
In diesem Schema offenbart sich auch eine Qualität der Zahl 3. Diese Qualität offenbart sich in genau in dem Ablauf von Werden, Sein und Vergehen. Ein Beispiel dafür, dass die Zahl an sich nicht nur quantitative Größe, sondern auch Symbol für Gesetzmäßigkeiten ist, die sich in allem, was uns umgibt, wiederspiegeln, wobei es in der Struktur der Graphik keinen Unterschied ausmacht, auf welcher zeitlichen Proportionsebene sich die Dinge abspielen. Sei es eben ein kosmisches Ereignis, welches in menschlichen Zeitvorstellungen nicht zu greifen ist, oder die Existenz eines Teilchens aus der Elementarphysik, die so kurz ist, das etliche Stellen hinter dem Komma erst die ersten Zahlenangaben kommen und das auf der Millisekunden-Ebene als Bemessungsgrundlage.
Verschachtelung:
Die unendliche Zahl an Dingen, die sich aufgund von Existenz-Überschneidungen berühren und überlappen, werden und vergehen in ihren spezifischen, zeitlich umgrenzten Daseinsformen, lassen die Welt als eine Ineinander-Verschachtelung unendlicher, verschiedener, in solchen Kurven organisierter Existenzen mit unterschiedlicher zeitlicher und räumlicher Ausdehnung erscheinen, wobei die Erscheinungsformen der Kurven ganz unterschiedlicher Art und von dem modellhaften Charakter der Graphik abweichend sein können, was die Erscheinungsform, beziehungsweise Dauern der einzelnen Teile der graphischen Dreiheit betrifft.
Suche:
Die Suche nach den oben aufgeführten Prinzipien in der Kunst, speziell in der Musik, gestaltet sich als nicht sonderlich kompliziert.
Im Bereich des formalen Aufbaus entdecken wir sofort Parallelen:
Eine der wohl am häufigsten in Erscheinung tretenden formalen Prinzipien ist die der Liedform, die in der einfachsten, der ABA-Form direkt auf die Grafik anwendbar ist.
(Beispiele: Volkslieder, Sonatenhauptsatzform)
Gravitation im Schwingungsbereich einzelnd wahrnehmbarer Impulse, des rhythmischen Bereiches:
Nehmen wir den Ausgangspunkt unseres Bogens im übertragenden Sinne als Erdung, als, sinnbildlich betrachtet, mit beiden Beinen auf dem Boden stehend, dem größtmöglichen Einfluß der Erdanziehungskraft ausgesetzt, an.
Die Phase zwischen dem Ausgangs- und Endpunkt kann man als einen Bereich bezeichnen, der nicht in dem Maße eine „Erdung“, sondern eher einer vom Einfluss der (Erd-)Anziehung unabhängigeren Situation vergleichbar wäre. Als eine Phase, in der für eine bestimmte Zeit eine Kraft dominiert, die der Erdanziehung entgegen wirkt.
Um diese Gedanken näher zu erläutern, möchte ich ein Beispiel aus der Schrittfolge eines bekannten Tanzes geben, dem Walzer:
(1 2 3) Links-rechts-links | (1 2 3) Rechts-links-rechts
Die Zählzeit I des Dreivierteltaktes ist die „schwere“ Zeit. Auf dieser ist die „Erdung“ am intensivsten. Die Kräfte der Schwerkraft wirken auf dieser Zeit mit größter Intensität. Hier findet der Abstoßvorgang statt, der die Schwere des Körpers die nächsten zwei Taktzeiten der Anziehungskraft entziehen soll.
Unser Bogen würde beginnen, sich auf der Zählzeit I emporzuheben, um auf der II seinen Höhepunkt zu erreichen und um auf der Zählzeit III sich wieder dem „Boden“, dem Ausgangspunkt zu nähern, da die Energie des Abstoßens sich erschöpft hat.
Wichtig ist an dieser Stelle anzumerken, dass in der Metrik, sprich in der
Gewichtungslehre der Zählzeiten, von schweren und leichten Zeiten die Rede ist. Der oben genannte Begriff der (Erd-) Anziehung und eines bestimmten Grades der Loslösung von dieser, kann als das sinnbildliche Pendant dieser angesehen werden (Es ist ein bisschen so, als würde wir uns unseres Gewichtes für einen kleinen Augenblick entledigen, unserem Heimatplaneten ein Stück Emanzipation entgegenbringen, um frei zu sein von der Erdenschwere und mit dem Schwung der Absprungenergie einen kurzen Augenblick des Losgelöst-Seins von dem Einflussbereich der Erdgravitation genießen zu wollen)
Die folgende Graphik, bezogen auf die metrische Gewichtung eines 4/4-Taktes soll dies verdeutlichen:
Die Anzahl der vertikalen schwarzen Punkte ist als Maß des Einflusses der Anziehungskraft zu werten.
Gegeben ist ein 4/4-Takt, der in der Gewichtung seiner Zeiten folgendes aufweist:
t0 ist hier als Zählzeit I die schwerste Taktzeit. T4 als Zählzeit 3 die zweitschwerste Zeit. Die Zählzeiten II (t2) und IV(t6) sind sehr leicht.
Gravitation im Schwingungsbereich nicht einzelnd wahrnehmbarer Impulse, der Tonhöhen:
Spüren wir an anderer Stelle dem Bogen nach:
Die Baßlinie einer Cadenz spiegelt den oben erwähnten energetischen Ablauf wieder.
„Laden“ wir das Geschehen auf, indem wir eine zweite Stimme als Diskant hinzufügen, die sich kontrapunktisch zur vorhandenen verhält:
Spüren wir dem Weg der konsonanten/dissonanten Entwicklung nach:
Stellen wir uns vor, der Dissonanzgrad würde ebenfalls in Form einer Kurve dargestellt, wobei der Grad der Dissonanz die Höhe der Kurve darstellen soll, sehr schnell wären wir bei obigem graphischem Schema (metrische Gewichtung eines 4/4-Taktes).
Im ersten Takt haben wir eine vollkommene Konsonanz, die Oktave schwingt im Verhältnis zu ihrem Grundton doppelt so schnell. Die Kurve hat sich noch nicht erhoben.
Der zweite Klang ist das Intervall einer Quinte, die immer noch zu den vollkommenen Intervallen gehört, deren Verschmelzungsgrad allerdings nicht den der Oktave erreicht, da die Quinte im Verhältnis zu ihrem Grundton 2 zu 3 schwingt.
Schauen wir uns an, wie die Ereignissituation aussieht, indem wir dies auf eine darstellbare Ebene hinuntertransformieren und in Noten darstellen:
Wir sehen, dass eine Kulmination der Ereignisse alle zwei Impulse stattfindet.
Beim Intervall der Quinte sähe es so aus:
Eine Kulmination der Ereignisse geschieht hier erst nach fünf Impulsen (oder nach drei, wenn man den Wert mit der höheren Schwingungszahl als maßgebend nimmt).
Bei der Terz, dem dritten Klangereignis, erhöht sich der Dissonanzgrad noch. Terzen gehören aus diesem Grunde auch nicht mehr zu den vollkommenen, sondern zu den unvollkommenen Konsonanzen:
Die oben erwähnte Ereignisdichte oder Kulmination der Ereignisse findet hier alle acht Impulse statt. Die Disonanzkurve hat ihren Höhepunkt erreicht, die weitere Entwicklung ist bestrebt, wieder einzumünden in die Ausgangs- und Ruheposition des dissonanzarmen Zustandes des Anfangs.
Ausgesprochen wichtig ist es, darauf hinzuweisen, dass wir die aufgezeigten Dinge körperlich spüren, da alle Musik, wenn sie für die Sinne wahrnhmebar ist, zunächst physikalischer Impuls ist. Diesen nehmen wir nicht nur mit unseren Hörorganen, den Ohren wahr, sondern tatsächlich ganzkörperlich, was besonders bei sehr lauter und bass betonter Musik zu spüren ist, was aber mit jeder, im hörbaren Bereich liegenden Frequenz der Fall ist.
Weitere Beispiele
eine einfache Cadenz C-Dur:
Laden wir den Spannungsgehalt unserer Cadenz nach und nach auf:
Der Quartvorhalt erhöht den Spannungsgehalt der Cadenz.
Wir steigern diesen noch mit der Septime:
In einer ornamentierten Form. Dissonanzen greifen schon zu Beginn in Form von Durchgängen:
Horch doch…was geschieht denn dort mit meiner Empfindung
Wichtig ist das „Hineinlauschen“ und die Frage, was geschieht mit meiner Empfindung und wo liegen die gefühlten Unterschiede zwischen den Beispielen.
II. Reflexion des heutigen Musikkonsumverhaltens und deren Bedeutung für die Menschen
Wo wirkt Musik
Wir haben bis hierhin möglicherweise ein Gefühl bekommen, was Musik in unserer Empfindung bewirken kann. Wichtig ist hierbei, dass der Mensch, wenn er sich mit Musik konfrontiert sieht oder besser hört, sich bewusst ist, dass die Empfindung in einen Dialog mit dem Gehörten tritt. Dieser Dialog findet immer statt und nicht nur im Bewusstsein, sondern auch und im speziellen im Unbewussten.
Die verschiedenen Stilmittel der Musik wirken „a priori“ gleich, d.h. beispielsweise ein Vorhalt wird eine Erwartungshaltung bewirken, eine gesteigerte Befindlichkeit, die im Auflösungsvorgang zur Ruhe kommt (siehe die obigen Beispiele). Dies geschieht natürlich, wie Kants Prägung des Begriffes „a priori“ schon in sich trägt, vor der Ebene des durch die Konfrontation und durch Erfahrungen mit dem Erdenleben zum subjektiven Individuum geformten Menschen.
Ein Beispiel zum subjektiv geformten Menschen:
Würde ein Kind ab dem Zeitpunkt, ab dem es Nahrung aufnehmen kann, diese immer nicht bekommen, wenn ein von einem beliebigen Instrument (es muß dann nur immer das gleiche sein) vorgetragener C-Dur-Akkord erklingt, so wird eine unauslöschbare Verknüpfung von C-Dur-Akkord und Nahrungsentbehrung entstehen. Die subjektive Verknüpfung Akkord-Nahrungsaufnahme bildet die subjektive Befindlichkeit aus. Der C-Dur-Akkord als solcher spielt als klangliches Phänomen in einem derartigen Falle eine untergeordnete Rolle, die Verknüpfung dominiert.
Die Wirkung eines C-Dur-Akkordes (insbesondere, wenn er in reiner Stimmung erklingt, was ein tiefgreifendes Erlebnis von purer Schönheit ist, gleich dem Concentus Angelorum), setzt ja auf einer Ebene an, die vor der subjektiven Verknüpfung, bzw. Formung des Individuums stattfindet. Die Diskrepanz spiegelt sich wieder in dem Gegensatz von ästhetischem Phänomen und den Folgen der subjektiven Verknüpfung.
Diese Erkenntnis ist für das Verständnis von außerordentlicher Bedeutung, denn der Mensch ist in seinem objektiven Sein ein Naturwesen und als solches empfänglich und beeinflussbar. Um es noch einmal zu sagen: Der Mensch reagiert damit auf die Musik direkt, d.h. auf der Ebene vor der subjektiven Formung. Erst nachdem die objektive Wirkung eingesetzt hat, beginnt die individuelle, durch die Formung zum subjektiven Individuum verursachte Verknüpfung von musikalischen Stilmitteln mit mit diesen in Verbindung gebrachten Erlebnissen.
Die alte, heute unterschätzte Sensiblität
In der heutigen Zeit ist die „Kraft und Wirkung der Musik“ nicht mehr in der Deutlichkeit spürbar, wie zu den Zeiten, in denen es noch keine Tonträger gab. Zu diesen Zeiten war das Erklingen von Musik ein besonderes Ereignis und die Auswirkungen von allergrößter Intensität, wie wohl viele einen C-Dur-Akkord in reiner Stimmung in ähnlicher Weise empfunden haben mögen, wie oben beschieben.
So konnten die Menschen die frühen Orgeln ob der übermächtigen Präsenz des Klanges und der Lautstärke kaum ertragen, oder man interpretierte die hochvirtuose Spielweise eines Nicolo Paganinis als vom Teufel persönlich inspiriert.
Aber auch die Musik der mittelalterlichen Spielleute oder des Minnegesangs wurde viel intensiver wahrgenommen. Was für ein Ereignis es wohl gewesen sein muß, wenn ein Minnesänger, Troubadour oder Trouvere, wie sie in Nordfrankreich genannt wurden, nach langer Zeit der musikalischen Entbehrung ihre Kunst haben erklingen lassen. Denn was man nur selten zu hören bekommt, stellt sich als punktuelles Ereignis dar, was einen besonders intensiven und damit nachhaltigen Eindruck hinterlässt, denn Musik war damals nicht überall und zu jeder Zeit zu erleben und erst recht nicht, wie in der modernen Zeit, allgegenwärtig. Der einfühlende Geist wird sich annähernd vorstellen können, wie ungleich mehr als heute die Kraft und Wirkung der Musik sich in der damaligen Zeit hat in der Empfindung der menschlichen Seelen entfalten können, wie, als würden die Seelen nach langem Weg durch die schwarze Finsternis der Kunst- und Kultur-, speziell der Musikentbehrung hinaus in eine lichtdurchflutete Welt treten, welche die inneren Kräfte der dürstenden wieder zum Erleuchten brächte.
Musik ist ein Phänomen, welches sich für eine bestimmte Zeit entfalten und mehr noch als alle anderen Künste die Gesetzte vom Werden und Vergehen im Fluss der Zeit aufzuzeigen
Schutzmechanismen
Dadurch, dass der Mensch in der heutigen Welt fast ständig akustischen Feldern ausgesetzt ist, müssen sich Schutzmechanismen entwickeln, die das Innere vor einem ständigen „Akustik-Beschuss“ von außen schützen.
Eine solche Schutzmaßnahme ist eine Verhärtung der Hülle, die den Menschen gegen die akustischen Einflüsse (und leider nicht nur gegen diese, sondern auch gegen alle anderen kommunikativen Aspekte von Kunst) und deren Einwirkung auf die Seele schützen soll und die, je undurchlässiger sie ist, desto weniger auf diese einwirken kann. So könnte es funktionieren und so funktioniert es scheinbar auch. Wohlgemerkt: nur scheinbar!
Der Trugschluß
Dies ist leider ein Trugschluss, denn die Bildung einer solchen Schutzhülle findet nur auf einer ganz bestimmten Ebene statt. Das ist die Ebene, die den Einfluss des Unterbewußten auf das Tagesbewußtsein regelt und nur einen sehr geringen Teil dessen, was unser Bewusstsein insgesamt ausmacht, ins Tagesbewußtsein durchlässt. Als als eine weitere Allegorie füge ich die Tiefen eines Ozeans an, die unsere gesamte unterbewußte Welt darstellen soll, und seiner Oberfläche, auf der sich nur geringfügige Informationen, die für die jeweilige Tagessituation von Nöten sind, befinden.
Genau auf dieser tieferen Ebene des Unterbewusstseins wirkt Musik aber.
Je mehr nun das Abschottungswerkzeug des Tagesbewußtseins seinen Dienst leistet, desto weniger werden die Auswirkungen von Musik „bewusst“ wahrgenommen. Um es noch einmal zu verdeutlichen:
Dies bedeutet nicht, dass es keine Wirksamkeiten gibt.
Konsumverhalten
Hier genau liegt die Problematik der Art und Weise, wie heutzutage Musik konsumiert wird. Die Bewusstheit darüber, dass jede Musik auf den Menschen in einem Ausmaß wirkt, wie dieser nicht in der Lage ist, zu begreifen, gibt es nur in ganz wenigen Fällen. Menschliche Existenzen, die keinesfalls kritiklos akustische Besudelung hinnehmen, auch nicht unreflektiert durch das Leben gehen, die der Bewusstheit, wie sich die Welt in der eigenen Wahrnehmung darstellt und der Frage nach dem Warum Raum in ihrem Leben geben.
Dieser Aufsatz soll aus missionarischem Eifer heraus im Kampf um ein sensibleres Umgehen mit Musik den Versuch unternehmen, sich diesbezüglich ein Gespür entwickeln und den Konsum von Musik, generell natürlich von Kunst (ich spreche hier für meine Hauptdisziplin), bewusster stattfinden zu lassen, so dass die Musik auf eine Art und Weise konsumiert wird, dass sie in der Aufmerksamkeit des Hörers genügend Raum finden möge, sich entfalten zu können. Dass ein Zwiegespräch stattfinden möge zwischen der Aussage oder Wirkung eines Stückes mit der Empfindung der es hörenden Person.
Die Wirklichkeit sieht anders aus:
Die Schallquelle generiert Klang, der sich wie ein Monolog offenbart, da das Ziel des Schalls gar keine Bereitschaft zeigt, einen Dialog einzugehen, das Gehörte bewußt zu reflekieren.
Wiederum ein Vergleich:
Es ist so, als würde ein Mensch einem anderen gegenüber seinen Gefühlen in Worten Ausdruck verleihen wollen und sein Gegenüber hört ihm gar nicht zu, sondern beschäftigt sich mit ganz anderen Dingen. Es kommt keine Kommunikation zustande, stattdessen nur Monolog.
Die Tragik
Die Bedeutung dieser Tatsache hat eine tragische Reichweite.
Zum besseren Verständnis soll folgende Situation als Beispiel angeführt werden:
Wir erleben, dass an einem Montagmorgen aus dem Radio eine Stimmung erzeugt werden soll, als wären die Menschen, die sich doch auf dem Weg zur Arbeit befinden, im „Samstag-Nacht-Fieber“. Ein gesteigerter Tonus der Stimmlage der Moderatoren möchte ein Stimmung suggerieren, die derjenigen gleicht, die aus der Feierlaune des pflichtlosen Glückes eines Samstagabend entspringt und die psychologisch etwas damit zu tun hat, den eigenen Tonus derart hochzufahren und in Wallung zu bringen, dass man das Schlachtfeld des Intensiv-Sozialkontaktes, wie es sich in Einrichtungen darstellt, bei denen große Menschenmassen versammelt sind, wie beispielsweise Diskos, in einer möglichst, für die Konfrontation der Dinge, die einen dort erwarten, kräftemäßig optimierten Verfassung betreten kann. Je stimmungsgeladener das Individuum ist, desto mehr wird es im allgemein herrschenden Konkurrenzkampf um Hierarchien, sozialer Anerkennung, sexueller Begehrlichkeit, etc. Erfolg einfahren können. Hier braucht man unbedingt irdische Standhaftigkeit, die einen „geerdet“ auftreten lässt. Das Körperliche, die materielle Ebene des Menschseins soll hier bedient werden. Dasjenige, was die Gravitation unseres Planeten an sich festhält. Es soll im Sinne des Wortes Halt geben, etwas, was in einer orientierungslosen Welt einen Anker darstellt, um nicht abzuheben und den „Halt“ zu verlieren.
Ein Erheben des Geistes in höhere, haltlosere, oder gar bodenlose Ebenen ist nicht erwünscht. Ein Abheben des Geistes, im Sinne dessen, was man als ein sich Hineinbegeben in höhere, vergeistigtere Sphären bezeichnen könnte, ist ebenfalls nicht gewollt. Nicht die intellektuellen, vergeistigten Ebenen sollen angesprochen werden, sondern die primitiveren, tierischen Verhaltensweisen sollen bedient werden. Angst spielt hier eine nicht unbedeutende Rolle. Die Gründe, sich den höheren Ebenen nicht stellen zu wollen, können ganz unterschiedlich sein, wie z.B., dass der Mensch sich höheren Ebenen der Erkenntnis nicht gewachsen sieht oder das kritisches, hinterfragendes Verhalten auf der sozialen Ebene oder innerhalb der sozialen Gruppe nicht angesagt ist, da man sich dann ja heraushebt und nicht mehr den sozialen Grundsätzen der jeweiligen Gruppe entspricht. Es droht Isolation. Auch ist hier Erdung angesagt und nicht Vergeistigung.
Macht
Eines der wichtigsten und mächtigsten einflußnehmenden Dinge, sich in den gewünschten Zustand zu begeben, ist die Musik. Es werden Hits und aktuelle „angesagte“ Musik gespielt. Assoziationen werden geweckt. Assoziationen, die zum wichtigen Rüstzeug zu einer das Schlachtfeld betretenden Person gehören, um auf diesem bestehen zu können. Eine entsprechende psychische und seelische Befindlichkeit stellt sich ein.
Es wird hier eine Situation suggeriert, eine Stimmung hervorgerufen, die nicht den Anforderungen der Realität zu entsprechen scheint, denn es ist ja Montagmorgen!!!
Vorausgesetzt wird hier von dem Gesamtpaket Montagmorgen-Radio, das sich in der (Hit-) Musikauswahl und im gesteigerten Sprachgestus der Moderatoren äußert, es sei unbedingt von Nöten, auch auf dem Weg zur Arbeit einen solchen Samstag-Nacht-Tonus zu implizieren.
Meiner Meinung nach ist es durchaus beängstigend, wenn sich die allgemeine Meinung, die alles müsse so sein, in den Köpfen der betroffenen Menschen festsetzt, denn man kann nicht seinen ganzen Alltag im Saturday-Night-Tonus durchleben. Das ist eine falsche Energiepolitik den eigenen Kräften gegenüber und wird auf Dauer ein Verwelken der Lebensenergien nach sich ziehen.
…aus der Werkzeugpalette:
Wollen wir wieder in den mikrokosmischen Bereich von Musik abtauchen und uns im Sinne des oben Gesagten den möglichen Gründen zuwenden:
Betrachten wir zunächst die Ebene von Musik, die den archetypischsten und damit auch den mächtigsten Einfluss auf die Empfindung ausübt:
Die rhythmische Ebene.
Im Sinne dessen, was im Vortext über Metrik und deren sinnbildliche Pendants gesagt wurde, können wir mit entsprechenden Kriterien die Analyse angehen:
Wir gehen davon aus, dass die schweren Zeiten die Anfangs- und Endpunkte unseres Bogens widerspiegeln. Um nun denjenigen Bereich des Bogens zu minimieren, der in der Zeit zwischen diesen Punkten ist und welcher im obigen Sinne die Phase der Loslösung von der Anziehungskraft beschreiben soll, ist es Voraussetzung, dass die Anfangs- und Endpunkte des Bogens sehr dicht beieinander liegen. Je dichter sie beieinander liegen, desto minimierter ist der Einfluss der „Loslösekraft“ und damit die „Gefahr“, sich von der weltlichen Ebene weg zu bewegen.
Die Folge ist, dass eine Art Musik bevorzugt konsumiert wird, bei der eine regelmäßige Wiederkehr der Schwere des Metrums garantiert und die Abfolge von metrischen Impulsen in zeitlich sehr engem Raum organisiert ist. Denn das immer wieder Spüren der schweren Zeit ist die Bestätigung für das im Weltlichen bleiben wollen, das an „die Erde gebunden sein“, „das materiell orientiert sein“, bzw. die Fokussierung auf das, was materielles Dasein ausmacht. Regelmäßig wiederkehrende Struktur bietet eine Verlässlichkeit, in die der Konsument sich hineinfallen lassen kann. Der gleichmäßig wiederkehrende Impuls bietet Sicherheit.
Auch auf der harmonischen Ebene sind sehr regelmäßige Strukturen auszumachen:
Die Stufenfolge einer Cadenz (I, IV, V, I) wiederholt sich ständig und in kurzen Zeitabständen, so dass die Gewissheit erzeugt wird, man findet sich in jedem Fall wieder auf der I. Stufe ein. Diese ist auf der harmonischen Ebene das Pendant zur rhythmischen Eins, beziehungsweise eines schweren Impulses.
Wir haben hier also die gleichen „ziehend- und bewegenden Kräfte“, nur eben auf einer anderen Schwingungsebene, nämlich der des hörbaren Bereiches, der an seiner Untergrenze dort beginnt, wo der Einzelimpuls nicht mehr als solcher wahrgenommen werden kann, weil der zeitliche Abstand zwischen den einzelnen Impulsen zu gering ist. Seine Obergrenze bildet der Bereich, wo die Tonerzeuger mit einer so hohen Hertz-Zahl schwingen, dass die menschliche Anatomie nicht mehr in der Lage ist die Schwingungen aufzunehmen.
Hier ist die verschwommene Grenze zwischen Ton und Rhythmus (ca. 20 Hertz), bzw. zwischen der Welt der Tonhöhen (bis ca. 20000 Hertz) und dem ultravioletten Bereich, wobei man anmerken muss, dass diese Grenze von den die Erde bewohnenden Existenzen ganz unterschiedlich wahrgenommen wird. So verständigen sich beispielsweise Wale in einem sehr tieffrequenten Bereich. Fledermäuse in einem für den Menschen ebenso kaum mehr wahrnehmbaren hochfrequenten Bereich.
Proportionsebenen:
Wir können an diesen Dingen ablesen, dass unser Bogen auf die verschiedenen Schwingungsbereiche anwendbar ist, entsprechend den o.g. Ebenen der Existensgrößen und –Dauern.
Zyklen:
Sowohl die Wiederkehr unseres Bogens, als Sinnbild für die in den Dingen wirkenden Gesetze, ist eines der unumstößlichen Dinge, die uns auf unserer Forschungsreise durch die Gesetzmäßigkeiten des Daseins begegnen, als auch die Verschachtelung und die Wiederholung dieser.
Hierarchien:
Um Hierarchien aufzuzeigen, betrachten wir das Grundtondenken in der tonalen Musik. Ein Stück ist in einer bestimmten Tonart komponiert. Der Grundton dieser Tonart ist nun der tonale Bezugspunkt der harmonischen Ereignisse, vorausgesetzt, es hat keine Modulation stattgefunden.
Wie wir oben in dem Beispiel einer Kadenz sehen können, ist die harmonische Entwicklung bestrebt, nachdem der „Hafen“ der I. Stufe verlassen wurde, nach Durchlaufen der IV. Stufe, von der V. Stufe wieder in die I. einzumünden.
Die IV. Stufe ist in dem Geschehen diejenige, die die tendezloseste und freieste ist, diejenige, die die größte Kraft in sich trägt, sich von der tonalen Basis zu erheben. Sie ist die Stufe mit der unabhängigsten Strahlkraft. Hier kann sich, von melodisch/harmonischen Strebetendenzen weitgehend losgelöst, Klanglichkeit am optimiertesten entfalten.
Ganz der Gegensatz dazu ist die V. Stufe aufgeladen von der Tendenz zurückzufallen ( Cadenz, von lat. cadere = fallen, hier drückt sich im übrigen auch sehr bildlich die durch Gravitation verursachte Abwärtsbewegung in Richtung des „anziehenden“ Gegenstandes, in unserem Fall des Grundtones aus!) in die I. Stufe. Diese Spannungskurve wird noch gesteigert durch verschiedene „aufladende“ harmonische Mittel, wie z.B. die Septime der V. Stufe (oder in noch gesteigerterer Form, des verminderten Dominantseptnonenakkordes mit tiefalterierter None, bei der zunächst die tiefalterierte None bestrebt ist, sich abwärts in den Akkordgrundton aufzulösen, es bleibt immer noch die Strebewirkung der Septime).
Diese Aufladung und der dadurch entstehende Drang nach Auflösung hat J.Ph. Rameau veranlasst, sie als „dominante“ zu bezeichnen (Traité de l’harmonie reduite à ses principes naturels, Paris 1722). Durch die große Strebewirkung beherrscht sie das harmonische Geschehen, in dem Sinne, dass sie das harmonische Geschehen in die Auflösung zwingt (sensible Gemüter, wie Mozarts Vater Leopold, hat es schier verrückt gemacht, wenn der kleine Wolferl seine Improvisationen mit einem Dominantseptakkord geendet hat, was ihn veranlasst haben soll, aufzustehen und das harmonische Geschehen durch spielen der Auflösung zu einem beruhigten Ende zu bringen).
Die Dominanz der mit Septime aufgeladenen V. Stufe, wird als Modulationsmittel benutzt, indem man einem Dur-Akkord eine kleine Septime hinzufügt. Sofort wird dieser als V. Stufe einer neuen I. Stufe empfunden.
Selbst in Musik, die aus dem Bestreben heraus konzipiert ist, keine Grundtönigkeit zu entwickeln, können hierarchische Strukturen nicht vermieden werden. Als Beispiel kann man die Dodekaphonischen Stücke der II. Wiener Schule, insbesondere der Werke Schönbergs und A. v. Webern anführen. Schon in der Beschreibung der Zwölftontechnik soll suggeriert werden, dass es keine Tendenzen gibt:
Die Dodekaphonie sei eine Kompositionstechnik mit „Zwölf nicht aufeinander bezogenen Tönen“. Das sich doch Töne dem Ohr dominanter präsentieren als andere, lässt sich hierbei kaum verhindern. Dies tritt z.B. schon dann ein, wenn ein Ton lauter gespielt werden soll als sein nächster.
Auf der rhythmischen Ebene offenbaren sich Hierarchien beispielsweise in der metrischen Einteilung der Zählzeiten (siehe oben).
Farben
Klangfarben werden charakterisiert wie die Farben des durch ein Prisma gelenkten weißen Lichts. Die Intensität der Leuchtkraft und der Zuordnung zu charakterlichen Merkmalen von Individuen ist für den Menschen normal.
Genau hier aber geschieht dasjenige, was eine der Intentionen des Vortrages sein soll, nämlich die gesteigerte Fähigkeit zum Erspüren der Auswirkungen von Erscheinungen aus der Natur und deren Zuordnung zu bestimmten Charakteren.
Die Farben dienen einer optimierteren Darstellung der Gefühlslage, in der sich ein etwas oder jemanden betrachtender Mensch befindet. Da unsere Sprache in solchen Fällen keine geeignete Verknüpfung zustande zu bringen vermag, wird nach Parallelen gesucht, die gleiche oder sehr ähnliche Gefühlslagen hervorrufen und die zur Ausformulierung der Auswirkungen auf Seele und Geist herangezogen werden.
So wird ein „liebes, leichtes, luft´ ges Ding“ (Titel eines kleinen Büchleins über Schmetterlingsgedichte) nicht mit Kontrabässen und Celli in sehr tiefer Lage oder nicht mit konturlosem Grau beschrieben werden.
Ich hoffe, meine Ausführungen stoßen ein wenig auf ihr Verständnis und erwecken einige Neugierde, sich möglicherweise auch an der Erforschung der Auswirkungen von Kunst und allen den uns Menschen begegnenden Phänomene, seien sie jetzt soziologischer, gesellschaftlicher, intimer, etc. Natur, erfreuen zu können. Ich würde mich sehr freuen, wenn diese Ausführungen Anlass zum Nachdenken gäben, denn es ist an der Zeit, sich intensiv der Auswirkungen unseres Handelns, das ja Folge unserer interlektuellen Auseinandersetzung mit dem Wesen der Dinge sein sollte, bewusst zu werden.
„Wer in der Lage ist, aus seinen Gefühlen Gedanken zu formulieren, der ist in seiner individuellen Entwicklung fortgeschritten“
In diesem Sinne grüßt sie herzlich
Florian Fiechtner