Eine kurze Abhandlung:
Wie gehen wir heute mit dem Tenor des Liedgutes der Literatur der napoleonischen Befreiungskriege um
„...Deutsche Freiheit, deutscher Gott, deutscher Glaube ohne Spott, deutsches Herz und deutscher Stahl, sind vier Helden allzumal.“….“Lass den Welschen Meuchelei, du sei redlich fromm und frei! Lass den Welschen Sklavenzier, schlichte Treue sei mit dir!“ („Deutscher Trost“: Text und Melodie: F.W.Bernet)
„…wer scheidet so röchelnd vom Sonnenlicht, unter winselnde Feinde gebettet? Es zuckt der Tod auf dem Angesicht, doch die wackren Herzen erzittern nicht; das Vaterland ist ja gerettet!“(„Lützows wilde Jagd“, Text: Theodor Körner, Musik: Karl Maria von Weber)
„…Morgenrot, Morgenrot, leuchtest mir zum frühen Tod? Bald wird die Trompete blasen, dann muss ich mein Leben lassen! Ich und mancher Kamerad…“ (Lied: Morgenrot, Text: Wilhelm Hauff, Melodie: Silcher)
„…Ihr, auf diesem Stern die Besten, Menschen all´im Ost und Westen,wie im Süden und im Nord! Wahrheit suchen, Tugend üben, Gott und Menschen herzlich lieben, das sei unser Losungswort…“(Text: Franz Gerhard Wegeler (1806), Musik: Mozart)
„…Wo sich Gottes Flamme in ein Herz gesenkt und am alten Stamme treu und liebend hängt; wo sich Männer finden, die für Ehr`und Recht mutig sich verbinden weilt ein frei Geschlecht…“( Lied: Freiheit, die ich meine“, Text: Max von Schenkendorf (vor 1813), Weise: Karl Grooss)
Die vorgenannten Zeilen sind Ausschnitte aus den Texten des Liedgutes, mit welchem das Schauspiel „Liebe und Tod in der Göhrde“ von Gabriel Reinking inhaltlich untermalt, die Botschaft verdeutlicht und der Geist der napoleonischen Befreiungskriege in unserer Zeit lebendig wird.
Wie empfinden wir diese Texte?
Was ist auf dem Strahl der Historie alles geschehen bis zur heutigen Zeit? Vieles, was informativ in den Geschichtsbüchern steht, was den Geist der Menschheit verändert hat, was unsere Aufmerksamkeit aufgerüttelt hat, bestimmt unser heutiges Geschichtsbewusstsein. Wir sind beeinflusst von den Dingen, die sich insbesondere im 20. Jahrhundert zugetragen haben, wie zwei grauenhafte und traumatisch nachwirkende Weltkriege. Der zweite Weltkrieg von 1939-1945 wirkt bis heute nach, was auch dem Umstand geschuldet ist, dass noch heute Zeitzeugen leben, die den jüngeren Generationen, zwar aus individueller Sicht, aber dennoch lebendig vermitteln, was damals geschehen ist.
Das, was das demokratische Gegenwarts-Deutschland bis in unsere heutige Zeit umtreibt und auch weiterhin geschichts-reflektorisch umtreiben sollte, war die Tatsache, dass dieser II. Weltkrieg aus einem rassistisch-ideologischen Kontext heraus von deutschem Boden begonnen wurde. Nationalismus wurde maßlos überhöht, was sich in einer Ideologie mit dem Decknamen Nationalsozialismus, der Intoleranz anderen Völkern und Rassen gegenüber mit grausamen Folgen, wie dem Holokaust und Millionen von Kriegsopfern offenbarte. Dessen muss sich ein jeder bewusst sein und dies sollte für die Zukunft auch stets Gegenstand geschichtlicher, möglichst objektiver Reflexion und damit im geschichtlichen Bewusstsein der Deutschen zu allen Zeiten gegenwärtig sein.
Die Lieder und Texte der oben zum Teil aufgeführten Lieder sind aber aus einer anderen Zeit. In dieser Zeit, nämlich im Deutschland des frühen 19. Jh., war die Volkseele erfüllt von anderen Gedanken. Die Aufklärung im Sinne Kants, der gesagt hatte: „Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit“ beflügelte, vor allem vor dem Hintergrund der Geschehnisse im Nachbarland Frankreich, der französischen Revolution von 1789, den Freiheitsgedanken. Dieser spiegelte sich insbesondere in dem Drang wieder, politische Freiheiten im Sinne demokratischer Reformen zu konstituieren. Eine große Bedeutung innerhalb dieser Prozesse hatten die Haltung zum Stellenwert der Nation, die von dem Wunsch der Einigung der Fürstentümer des Deutschen Bundes genährt wurde und in der Vorstellung des ersehnten „einig Vaterland“ gipfelte. Verstärkt wurde dies durch die französische Expansionspolitik Napoleons: gemeinsam gegen den Usurpator!
Vor diesem Hintergrund sind die Texte und die Musik zu verstehen, die in dieser Zeit entstanden und Ausdruck des Wunschdenkens der deutschen Bevölkerung des frühen 19. Jahrhunderts sind.
Sie vermitteln die Sehnsucht, in Freiheit leben zu können in einem einig Vaterland, für das es sich lohnte, zu kämpfen und auch zu sterben. Hochstilisiert wurden die hehren Tugenden, die Kriegssymbolik, wie Speer und Schwert, das Land der Väter zu verteidigen und die Freiheit herauf zu beschwören.
Alle diese Texte sind im Tenor den Burschenschaftlichen Liedern ähnlich und wurden auch in das Liedgut derselben eingegliedert. Um nochmals den Geist dieser Zeit aufzuzeigen, möchte ich einen Abschnitt aus der Verfassungsurkunde der Jenaischen Burschenschaft vom 12. Juni 1815 anführen:
Erhoben von dem Gedanken an ein gemeinsames Vaterland, durchdrungen von der heiligen Pflicht, die jedem Deutschen obliegt, auf Belebung deutscher Art und deutschen Sinnes hinzuwirken, hierdurch deutsche Kraft und Zucht zu erwecken, mithin die vorige Ehre und Herrlichkeit unsres Volkes wieder fest zu gründen und es für immer gegen die schrecklichste aller Gefahren, gegen fremde Unterjochung und Despotenzwang zu schützen, ist ein Teil der Studierenden in Jena zusammengetreten und hat sich beredet, eine Verbindung unter dem Namen einer Burschenschaft zu gründen.
Natürlich muss man sich erst einmal derartigen Ausführungen stellen, die vom Sprachduktus ihrer Aussage von unserem Standpunkt aus zunächst einmal befremdlich oder verdächtig erscheinen. Verdächtig insofern, weil eine sehr ähnliche klangliche und sprachliche Ausformung national-patriotischer Gedanken den indoktrinativen, rassistisch-ideologischen Stil der Nazis bestimmt hat. Und dennoch verpflichtet uns unser geschichtlicher Forschergeist, sich diesen Dingen im historischen Kontext zu nähern.
Ich habe deshalb bewusst eine solche Literatur für das Theaterstück „Liebe und Tod in der Göhrde“ von G. Reinking gewählt, weil es mir aus dramaturgischen Gründen notwendig erschien; denn nichts transportiert so sehr den Geist der Zeit, als die Künste, insbesondere die Musik und die Literatur, die aus eben solchen Gefühlen, jener seelischen Bedürfnislage, die es nahezu zwanghaft erfordert, ihr durch die Kunst eine Form und Ausdruck zu geben, entstanden sind.
Man abstrahiere also unser heutiges Geschichtsbewusstsein von dem der damaligen Zeit.
Florian Fiechtner