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Brandenburgisches Konzert Nr. 5

Verfasser der Analyse:
Florian Fiechtner, Bleckede

Einige verschiedene analytische Gedanken zum 1. Satz des
Concert No. 5, D-Dur, BWV 1050
„Brandenburgisches Konzert Nr. 5“

Instrumente:

Traversflöte
Violino principale
Violino in ripieno
Violoncello
Violone
Cembalo concertato ( als Generalbaßinstrument, “accompagnement” eingesetzt und solistisch)

Die ripieno- Instrumente werden nicht nur als Verstärkung der Hauptinstrumente der verschiedenen Lagen benutzt, sondern haben auch eigenständige Linien, oder werden als Imitations-Instrumente gebraucht.

Tempo:

„allegro“ im alla breve- Takt.
Die Tempoangabe bezieht sich auf den Gestus!!, da man bei einem Tempo von beispielsweise Halbe = 126 (Angabe für Tempo „Allegro! auf dem Netronom) das Stück nicht mehr spielen könnte.

Wichtig ist an dieser Stelle der Hinweis, dass pro Takt nur 2 Zählzeiten zu empfinden sind: eine schwere (die Eins) und eine leichte (die Zwei). Man summe das Thema der Takte 1 und 2 durch und klopfe jeweils 2 und 4 Zählzeiten/Takt. Das Ergebnis wird sein, dass bemerkt werden sollte, dass im alla breve Fall (2 Zz/Takt) die energetische Struktur der ersten 2 Takte quasi zusammenrückt, was zur Folge hat, dass die Empfindung diese ersten beiden Takte mehr als Einheit aufnimmt. Ein Gegenbeispiel wäre, die Musik in Achtelnotenwerten zu „klopfen“. Eine Zerfaserung der Strukturen wird sich einstellen.

(Ich möchte an dieser Stelle noch ein berühmtes Beispiel einfügen:

Beethoven-Sonate op.27, Nr 2 „Sonata qausi una fantasia“, 1. Satz:

Häufig hört man ein von Interpreten gewähltes Tempo, dass nicht der metrischen alla breve Situation entspricht, statt dessen eindeutig einen Viertel-Puls zugrunde legt. Die richtigeren Schritte in Sachen Tempofindung wären folgende:

Man erfühle einen Puls, der der Tempoangabe Adagio Sostenuto, (also ein sehr langsamen!) entspricht. Nun beziehe man diesen gewählten Puls auf die alla breve-Angabe Beethovens, die wir im, mit einem senkrechten Strich durch den Halbkreis (2 Halbe-Takt) dargestellten Taktangabezeichen erkennen können. Folge:

es ergeben sich 2 Zeiten (die Eins schwer, die Zwei leicht), auf die zwölf Triolenachtel gleichmäßig verteilt werden sollen. Der zeitliche Abstand eines jeden Achtels wird sich im Verhältnis zum „Viertelfühlen“ der falsch verstandenen Tempoangabe um einiges beschleunigen.

Einige weitere Beispiele: Mozart: Fantasie d-moll, KV 397, aus
op.28, Chopin Preludes: Nr. 4, Etüde op 10, Nr 12, Beethoven: Symphonie Nr. 5, op 67, 1. Satz (..in ganzen Takten denken!) etc…)

(Zur einfacheren Darstellung des Zeitortes innerhalb eines Taktes werde ich allerdings im Fortfolgenden Viertel angeben)

Das Soggetto:

Das Stück beginnt mit einem Tutti-d der Streicher. Nur die Viola in ripieno hat die Terz. Ein aufsteigender D-Dur-Akkord folgt:
NB 1 ( T. 1)

 

Jede Stufe des Akkordes wird mit zwei Sechzehnteln bedacht.

Die der 2. Hälfte des Taktes steht auf der 5. Stufe:
Die melodische Linie abwärts startet auf dem Leitton (cis´´) und fällt dann nach der oberen Wechselnote linear abwärts ins d´, um von dort wie in T.1 erneut in der Form des Anfangs aufzusteigen.
Auf der Zz. 3 des T. 2 steht als Spitzenton der bisherigen Melodik die Quinte der 5.Stufe , e´´, die sogleich in Achteln in den Grundton a´ fällt. Mit dieser Bassklausel in der Violino principale- Stimme bestätigt Bach das Erreichen der 5. Stufe.
NB 2 (T.2 u. 3)

(Instrumente von oben:Fl.trav., Violino principale, Vl. in rip., Vla. i. rip., Cello, Violone, Cembalo)
Es folgt zum Sammeln neuer Energie eine Achtel-Pause.
Der Achtelauftakt zur Zz. 1 des T.3 bildet zum fis´´ (Zz. 1 des T.3) eine aufwärts aufgelöste Tenorklausel. Auch die Tatsache, dass der Auftakt (e´) eine Achtelnote ist, wirkt an dieser Stelle (wie könnte es bei Bach anders sein) sehr ausgewogen (man stelle sich eine Sechzehntelnote als Auftakt vor). Die Achtel vermittelt den Eindruck, als würde sich in ihr die Energie für die vielen folgenden Sechzehntel sammeln.

Es beginnt hier also der zweite Teil des Soggettos (s. NB 2, T.3):

Ein Unterquartzug (stufenweise absteigend) von d´ steigt als Fauxbordune- harmonisierte Linie hinab ins g als Grundton der 4. Stufe.
Von dort aus ebenfalls als Fauxbordune- harmonisierter Unterquartzug abwärts bis ins cis (der letzte Ton der Linie, d, ist in diesem Fall nur Durchgang zum folgenden Cis).
Das Cis auf der Eins des 4. Taktes hat hier Vorhaltsfunktion zum folgenden d.

Die letzten 2 Achtel von T.3 (BC) bilden eine Klauselsituation, wobei der melodische Schritt e- d Tenorklausel nach d ist. In der Oberstimme steht dagegen die Diskantklausel cis´´- d´´. Und doch ist das d (Zz.4u, T.39) nur als Durchgangston mit Terzmixtur(wie o.g.) zum Cis (T.4,Zz.1) zu sehen.

NB 3 (T.4)

Die nächsten 2 Achtel (T. 4, Zz 1) bilden die gleiche harmonische Fortschreitung:
Die Diskantklausel liegt jetzt in der BC-Stimme. In der Oberstimme liegt die Alt-Klausel g´- fis´. Die Quint-Sext-Bezifferung über Cis stellt eine Vorhaltssituation dar. Denn das e (BC-Stimme) auf der Zz.4, T.3 ist Tenorklausel zum auf der Zz.2u, T.4 kommenden d. Die daraus resultierende Gleichmäßigkeit des linear Abwärtsschreitens ermöglicht die weiter unten näher erläuterte Melodiebildung in Terzen und Sexten, so daß dieser Gestus der Melodie beibehalten werden kann.

An dieser Stelle (T.4, Zz.1ff) bringt Bach eine seltsame Irregularität in die Partitur hinein:
Er wiederholt bekanntes melodisches Material, das allerdings metrisch anders gelagert ist:
Der sich in T. 3 auf der Zz 2 befindende Melodieteil g´´- fis´´ wird nun auf der metrisch schweren Zeit, die Zz 1 von T.4, wiederholt (eine Oktave tiefer).
Um metrisch nun wieder auf der nächsten Eins auf der 1. Stufe zu sein, fügt er auf der Zz. 4 des T. 4 noch folgendes ein:
Von der Zz. 3 auf Zz. 3u haben wir in der Basso continuo-Stimme E-D eine Tenorklausel nach D vorliegen. Im Folgenden wird das ´Cis als Sopranklausel nach D jedoch oktaviert und dadurch „gestreckt“, um sozusagen Zeit zu gewinnen und so das d auf der nächsten schweren Zeit, der Zz 1 des T. 5 bringen zu können (s.NB3 od. 4).

NB 4 (T.5)

 

 

(Instrumente von oben:Fl.trav., Violino principale, Vl. in rip., Vla. i. rip., Cello, Violone, Cembalo)

Auch im nächsten Takt (T.5) wird das harmonisch/melodische Geschehen weitergetrieben, indem Bach eine Okkulta, einen Trugschluß nach h (Zz 3, T.5) bringt.

Von hier aus (die BC-Stimme betreffend) steigt eine h-moll-Skala aufwärts.
Um den Energieabfall der Okkulta abzufangen, lässt Bach auf der Zz.3 und 4 im T.5 das komplette Orchester (immer noch ohne Flauto traverso) tutti Sechzehntel spielen. Die Linie geht bis zum H.
Es folgt (diesmal eine Terz tiefer als in T.3) wieder ein sextakkord- harmonisierter Unterquartzug bis ins e.
Dieses e ist Tenorklausel zum d (T.6, Zz 3u). Auch hier ist das d nur Durchgang zum Cis als Diskantklausel zum d in T.7, Zz.1. Das d wird dadurch, dass die BC-Linie vom Cis ins A abspringt über die Bassklausel erreicht:
NB 5 (T.6 u. 7)


(Instrumente von oben:Fl.trav., Violino principale, Vl. in rip., Vla. i. rip., Cello, Violone, Cembalo)

Vertikal von der Bezifferung aus betrachtet liegt ein Septakkord auf Cis vor. Die Septime, die hier in der Violino principale- Stimme (h´´´) liegt, ist in diesem Akkord Nonenvorhalt zum a. A-Dur folgt auch auf dem nächtsten Achtel (T.6, Zz 4u) in Grundstellung.

In T.7 setzt Bach zunächst zum Ruggiero an:
Dadurch assoziiert er wieder er eine Schlusssituation, die sich unerwartet entwickelt:
auf der Zz 3 des T. 7 (s. NB 5) wäre ein Sextakkord auf fis das Ziel des Ruggiero der ersten Takthälfte:

NB 6

Hier steht allerdings die Bezifferung 5/6 mit tiefalterierter 5, was bedeutet, dass der Auflösungsakkord mit kleiner Septime erscheint. Diese wäre dann Altklausel zu h, als Terz von g, der 4. Stufe von D-Dur.

NB 7

Wir haben hier also eine kurze Ausweichung nach G-Dur.
Allerdings nur für den Moment einer Viertel, da das cis (hier cis´´ in der Violino principale- Stimme) auf der Zz 4 des T.7 sogleich wieder erscheint und das harmonische Geschehen wieder zum D-Dur hin „umbiegt“.
So liegt auf der Zz. 4u (BC-Stimme) des T. 7 eine Diskantklausel nach d vor (wie auch auf der Zz. 1u in T.8)

Ein weiterer Ruggiero beginnt auf der Zz.2u in T.8:

NB 8 (T.7/8)

die 7 der 5/7- Bezifferung ist ein Durchgang zur Quinte der 5. Stufe A-Dur. Diesen spielt die die Violino principale- Stimme (T.8, Zz. 3u).
Auf der Zz.1 des 9. Taktes kommt nun der vollkommenen Ganzschluß. Das Hauptthema des 1. Satzes des Konzertes ist nun vollständig vorgestellt.

Nähere Betrachtung der Violino principale- Stimme:

Die Melodie in T.3 über der aus zwei Quartzügen bestehenden abwärtslaufenden D-Dur-Skala besteht aus an die BC-Stimme gekoppelten Terzen oder Sexten:

NB 9

Die Ripieno-Stimmen vervollständigen die entstehenden (Sext-) Akkorde:
NB 10

Das Soggetto weist retrospektiv verschiedene Teile auf:

einen A-Teil (T.1/2 bis Zz. 4u), der in zwei weitere Teile gegliedert werden könnte:
Aa (T.1, Zz 1/2: „aufsteigender D-Dur-Akkord“) und
Ab (T.1, Zz.3/4: „eine Oktave durchlaufende abwärts gerichtete D-Dur-Skala“).
Aa´(T.2, Zz. 1-3: „aufsteigender D-Dur-Akkord mit anschließender fallender Quinte“).

Einen kontrastierenden B-Teil, der wiederum in mehrere Teile zu gliedern wäre:
Ba (T. 2, Zz. 4u bis Ende T.3),
Bb (T. 4 bis T.5, Zz.3u),
Bc (T. 4 „Trugschluß-Aufstieg“, T.5, Zz 3 und 4)
Ba´ (T. 6).

Und einen C-Teil, der wiederum, was sowohl die Richtung der Melodielinie, als auch neue artikulatorische Aspekte (T.7 die Bögen über den Geigenstimmen) bringt und in dem harmonisch relativ viel auf engem Raum passiert (s.o.):
C (T. 7/8)

Im folgenden benutzt Bach immer wieder melodisch/ harmonisches Material aus diesen Urgedanken.

Die nächsten 10 Takte (T9-18) bilden einen Überleitungsteil zum nächsten Einsatz des Themas auf der 5. Stufe.
Die Überleitungsteile unterscheiden sich von den Soggetto-Teilen in einigen wichtigen Punkten:
1) Nur in diesen tritt das Cembalo als Soloinstrument in Erscheinung, entweder mit anderen Instrumenten oder ganz alleine (große Kadenz der Takte 154-218).
2) Die Überleitungen sind im Gegensatz zu den Soggetto-Teilen mit sehr viel imitatorischen Elementen versehen

In Takt 9 kommt eine neue Farbe hinzu:
Es meldet sich die Traversflöte erstmalig zu Wort. Sie scheint auch im Folgenden an den solistischen Part des Cembalo gekoppelt zu sein, d.h. wenn das Cembalo als Generalbassinstrument verwendet wird, tritt die Traversflöte zunächst gar nicht, gegen Schluß auch nur zögernd auf.

Die Überleitung beginnt im Cembalo, als ob hier gleich klar gestellt würde, dass es sich hier um ein virtuoses Klavierkonzert handelt, sogleich mit 32stel-Notenwerten (T.9), die einen Takt weiter durch die Sechzehnteltriolen im zwei- zu drei, bzw. sechs- zu vier- Verhältnis (T.10) zur linken Hand stehen.
NB 11 (T.9)

(Instrumente von oben:Fl.trav., Violino principale, Vl. in rip., Vla. i. rip., Cello, Violone, Cembalo)

Bach lässt sofort ein Duett zwischen Violino Principale und Flöte enstehen, das von gegenseitiger Imitation geprägt ist.
Da diese neue Farbe zunächst ohne Streicher erscheint, ist es umso auffälliger, dass dieselben in T.10 noch einmal den Anfang des Soggettos zitieren (Aa-Formteil des Themas, s.o.), etwa so, als wolle Bach dem Cembalo oder der neuen Farbe noch nicht ganz die Zügel freigeben.
NB 12

Dieser hier zitierte erste Teil des Soggettos wird aber nicht weitergeführt, sondern durch das Gespräch zwischen Flöte und Violine (T.12) wieder unterbrochen, um erst in T.13 den A, a´ -Teil des Soggettos zu bringen (NB 11,T.12).

Auf der Zz. 3 des Taktes 13 beginnt nun ein ausgedehnter Quintfall, der von a (T.13, Zz. 3) startet und über d, gis, cis, fis, h, e ins a (T.17, Zz.1) „fällt“, um von a über die 4. Stufe von A-Dur, D-Dur (T.17, Zz.3), nach E-Dur zu gelangen (T.18, Zz.1). Der die neue Tonart bestätigende Ruggiero beginnt im selben Takt auf der Zz.3 (NB 12).
NB 13

In T.19 beginnt nun das Soggetto auf der 5. Stufe der Grundtonart D-Dur, A-Dur.
Bach bringt nun aber keine genaue Wiederholung der Erscheinungsform des Themas, sondern zunächst nur die Formabschnitte Aa, Ab und Aa´ (NB12).
Thematisches Material des Formteils Ba des Soggettos findet sich in den Achteln der Flöte wieder (T.20,Zz.4u mit Auftakt h´´ beginnend und in T.21 ff)
NB 14

Interessant ist an dieser Stelle, wie Bach phrasiert:
Eine absteigende Sekunde, mit Betonung auf schwerer Zeit und abphrasierter unterer Note. Diese absteigende Sekunde wird aber als „Modul“ aufwärts geführt.
Sie ist natürlich implizit im Formteil Ba des Themas vorhanden, ist an dieser Stelle nur konsequent ausgedeutet und wird im Weiteren für das fugato-Spiel zwischen Flöte und Violine principale benutzt.
Die „Originalform“ vom Formteil Ba, nur natürlich nach A-Dur transponiert, beginnt dann erst in T.28, Zz 4u bis T.29. Es folgt in T.29 der Bb-Teil, allerdings nicht in der Originalgestalt, sondern vorzeitig abkadenziert (T.31, Ruggiero nach A-Dur in 9-,5-,6/5-, Dur-Terz der 5.Stufe-Bezifferung) nach A-Dur (T.31, Zz.3, NB 13)

NB 15

Im Weiteren taucht immer wieder thematisches Material aus den verschiedenen Formabschnitten des Soggettos auf:
T.35,36,37
NB 16

T.44,Zz.3f in den hohen Streichern oder T.49, ebenfalls die hohen Streicher:
NB 17 (T.44, Vl. und Vla)

NB 18 (T.49, Vl. und Vla)

Wie eine Reaktion darauf, dass der Aa-Teil des Soggettos zwischendurch immer mal wieder, quasi nebenbei auftaucht, führt Bach das Thema in T.58 (beginnend auf der Zz.2u) mit dem Formteil Ba mit voller Aufmerksamkeit weiter, wie auch schon vorher in T.40/41:
NB 19 (T.40/41)

Volle Aufmerksamkeit bedeutet, dass das Cembalo mit der Vortragsbezeichnung „accompagnement“ versehen wird, also nur Begleitfunktion hat, und dass sich das Orchester, istrumentiert wie in den Takten 1-8, d.h. ohne Flauto traverso, im tutti dem Formteil Bb widmet.
NB 20 (T. 58-60)

 

Es sollen jetzt die Takte 71-100 etwas genauer untersucht werden:
Diese Takte haben eine gewisse kontrastierende Wirkung zu dem, was bisher erklungen ist.
Ist doch Bach bemüht in den ersten Takten den thematisch-melodischen Fluß „in Gang zu halten“.
Dies gelingt ihm, indem er immer wieder auf das thematische Material des Soggettos zurückgreift (s.o.).
In den folgenden Takten scheint ein ganz anderer Gestus vorherrschend zu sein:
Bach entwickelt hier Fläche. Fläche, in der es zwar harmonischen Fortgang und melodische Bewegung gibt, die aber stillzustehen und durch einen gleichmäßigen Fluß der Musik in der Zeit nicht mehr zu greifen scheint. Ein Eindruck, ein impressionistisches Gemälde, in dem sich der Geist in der Betrachtung dieses Gemäldes zu verlieren scheint.
Insbesondere die Takte 81-93 vermitteln dies (nennen wir zur besseren Orientierung diesen Teil Formteil B). Die Takte 71-80 sind Prolog (Formteil B)und bereiten sozusagen die Stimmung vor, während die Takte 93-100 Epilog sind (Formteil C), der den Hörer aus der „Betrachtung“ führt und ihn vorbereitet auf den Gestus des Anfangs, dessen Stimmung dominiert wird von dem Spiel mit dem „handfesten“ Material des Soggettos.

Das Harmonische Gerüst der Takte 71-100 weist einige Regelmäßigkeiten auf. Im Prinzip ist dieser Teil ein groß angelegter Quintfall:
NB 21 (harmonisches Gerüst der Takte 71-100)

Zunächst betrachten wir die Takte 71-80:
Es geht los mit fis-moll (T.71). Im nächsten Takt liegt fis mit Capazitas Sextae vor. Dadurch stünde als Generalbassbezifferung ein 6 darunter. Unter akkordischen Gesichtspunkten haben wir hier einen D-Dur-Akkord auf der Terz vorliegen.
NB 22

Der Quintfall findet sich in der Tonfolge d, gis, cis, fis im Baß wieder. Im Weiteren fis (T.75, siehe NB 21), h, e (T.76), A. A-Dur wird in T.80 noch einmal bestätigt.
Nun beginnt der oben erwähnte Hauptteil dieses 29 Takte umfassenden Abschnittes des 1. Satzes (T.81-93, Zz.1):
Bach benutzt hier eine Art „Modul“, dass er sequenziell „in Reihe schaltet“:
NB 23 (Quintfallmodul)

Der Quintfall findet sich in der Tonfortschreitung a, dis, Gis. Dadurch das Bach den Akkord auf der Zz.1 liegen lässt und mit der Bassstimme eine Quinte fällt, entsteht T.81 auf der Zz.4 ein Septakkord . Die Septakkordstimmung behält Bach bei, indem er den höchsten Ton, hier das fis´´, liegen lässt.
Dieses „Modul“ wird jetzt sechs Mal, d.h. über 12 Takte hinweg sequenziert (T.81-92).
In T. 93 ist der Quintfall in E angekommen, um nun noch eine Quinte ins A als Endpunkt des Quintfalls zu fallen (T. 94). A-Dur ist hier 1. Stufe und bereitet somit auf das Wiedererscheinen des Soggettos und damit des vom Anfang gewohnten Gestus vor, nur auf der 5. Stufe.
Es folgt ein Orgelpunkt E der gefärbt wird durch:
T.95 : Septakkord
T.96 : verminderter Septakkord
T.97 : von Takt 96 der verm. Septakkord chrom. abwärts gerückt
T.98 : Quartsextvorhalt in moll
T.99 : 4.Stufe in moll mit Sext statt Quinte und schließlich
T.100: Septakkord zu A-Dur.

Die Frage nach dem „verloren gegangenen Zeitgefühl“:

Im Formteil A, den Takten 71-80, bringt Bach in der Flöte und der Violine principale melodisches Material, das als solches auch noch fassbar ist:
Die Tonhöhen sind rhythmisch organisiert, es ergibt sich ein Motiv über zwei Zählzeiten:
NB 24 (T.71/72)

( Instrumente von oben:Fl.trav., Violino principale, Vl. in rip., Vla. i. rip., Cello, Violone, Cembalo)

Dies wird wiederholt und im folgenden Takt von der Violine principale auf einer anderen Stufe imitiert (Inventionen-Technik). Es ist also melodisches Material, das sich durch sein rhythmische Organisation und durch die Organisation seiner Tonhöhen, also durch sein Motivcharakter, im Gesamtklangbild emanzipieren kann. Wir haben eine klare Trennung zwischen Begleitung und Melodie.
Das haben wir im Formteil B; den Takten 81-93, Zz 1, nicht mehr:
Die beiden Soloinstrumente ( Föte und Violine pr.) haben jetzt ebenso wie die anderen Instrumente (außer Cembalo) Achtel. Dazu kommt, dass sie arpeggierte Akkorde zu spielen haben, die im Gesamtklangbild nur als Farbe wahrzunehmen sind und somit in diesem keine solistische Funktion haben, sondern mit diesem verschmelzen.
Genau diese Farbe ist es, die hier so interessant ist. Wir haben nämlich ein Klangfeld, in dem keine Melodik, Rhythmik, oder besondere Harmonik eine Rolle spielt, sondern einzig die „Farbtupfer“ der beiden Soloinstrumente, im Kontrast, oder besser im Einklang mit der großen, einen ganzen Takt andauernden Auftaktsgeste zur nächsten Eins des Cellos.

NB 25 a ( T.81)

( Instrumente von oben:Fl.trav., Violino principale, Vl. in rip., Vla. i. rip., Cello, Violone, Cembalo)

NB 25 b (T. 82-84)

Besonders trägt natürlich der warme, erdige Klang der Flauto traverso zur Stimmung bei.

Erst in Takt 93 (Beginn Formteil C) fällt etwas auf, nämlich dass diese Farbe auf einmal im Gesamtklangfeld fehlt und sich bald darauf wieder über dasselbe erhebt, dadurch dass Flöte und Violine pr. zusammen trillern (T.95) und sich dadurch in den Vordergrund „heben“. Das Klangbild wird wieder „fassbarer“, es gewinnt wieder mehr an Kontur, es wird konkreter:

NB 26 (T.93-96)

( Instrumente von oben:Fl.trav., Violino principale, Vl. in rip., Vla. i. rip., Cello, Violone, Cembalo)

So gelingt Bach ein sehr geschmeidiger Übergang zunächst hinein in ein Klangbild, wie oben beschrieben (Absatz vor NB 21) und auch wieder hinaus, um dann wieder mit einem ganz anderen, schon bekannten Gestus, nämlich dem des Anfanges, fortzufahren.

Das Cembalo in den Takten 71-100:

Einen großen Einfluß auf die oben genannte Stimmung dieser 29 Takte nimmt die gleichmäßige Figuration des Cembalos.
Besonders im Formteil B (T.81-93, Zz.1), da hier die gleichmäßigen Achtel wegfallen und eine Situation eintritt, in der nach einer langen, einen ganzen Takt andauernden auftaktigen Bewegung nur noch Sechszehntel spielen (NB 25, T.83 auf 84,etc.).
Diese Bewegung hat immer eine besondere Richtung:
Sie schwingt sich zunächst drei Achtel aufwärts, hat auf dem dritten Achtel (der Zz.2) ihren Höhepunkt und fällt dann während der folgenden Zählzeiten bis in die Zz. 1 des nächsten Taktes ab.

NB 27 (am Beispiel T.89/90,Cello, Violone und Cembalo)

Es ist eine descendente, baßbetonte Stimmung, passend zur warmen und erdigen Farbe der Flöte.
Bach lässt im Cembalo nicht nur die reinen Akkorde erklingen. Es gibt Nebennoten, die eine Gewisse „Würze“ in das Klanfeld mit einbringen. Betrachtet man in T.71 das Cembalo, fällt auf, dass nicht nur Töne des fis-moll-Akkordes vorhanden sind, sondern auch noch ein Akkordfremder Ton, in diesem Fall eis. Dieses eis wirkt wie eine chromatische Färbung des fis-moll. Gleichzeitig leitet es melodisch zum fis, da der Schritt eis-fis Diskantklausel nach fis ist, nur das diese hier nicht eingebunden ist in ein Klauselgeschehen aller Stimmen.
Interessant ist, dass Bach eine Schicht in ein rein vertikal orientiertes Klanggeschehen einflechtet, das im Grunde ein horizontales, melodisches Ereignis darstellt, nämlich den melodischen Schritt eis-cis. Dieser steht zwar immer auf dem letzten Sechzehntel einer Zählzeit, bekommt aber doch dadurch, dass es eben ein horizontales Ereignis darstellt, Gewicht, was natürlich angesichts der „Invention“, die sich in Flöte und Viol. princ. abspielt kaum, bzw. gar nicht wahrzunehmen ist. Anders sieht es im Formteil B (T.81-93) aus:
Außer diesem melodischen Schritt ist im Gesamtklangbild nichts explizit melodisches vorhanden, außer eben arpeggierte Akkorde, die wie oben erwähnt keine melodische Funktion im Sinne von motivischer Arbeit haben.
Dazu kommt, dass der Schritt eis-fis (wie auch die Schritte in den folgenden Takten an gleicher Stelle) ein erweiternde gliedernde Funktion haben, d.h., die Wiederkehr einer Figur folgt im halbtaktigen Rhythmus und nicht jede Viertel. Eine kompositorische, handwerkliche Feinheit, um gar zu schnell wiederkehrende Zyklen zu vermeiden.

Stellen mit ähnlichem Gestus könnte man festmachen in den Takten 47-49. Hier geschieht vor allem in T.47 ähnliches, was oben zu den Takten 71-80 ausgeführt wurde. Wir haben in diesem Takt schon eine leichte Vorschau des später sehr konsequent durchgeführten Prinzips:
Zweiunddreißgstel-Fläche mit Achtelbewegung in den Streichern und sparsamen Äußerungen der beiden in der Partitur zu oberst stehenden Instrumente flöte und Violine principale.
Viel interessanter sind die Takte 147-150, bzw.139, Zz.3 bis zum Einsatz der großen Solokadenz des Cembalo:
Auch hier könnte man eine Dreigliederung vornehmen:
A würde sich dann von T.139-146 erstrecken und vom Gestus schon einmal in die Richtung desjenigen der Takte 147-150 gehen, die in sehr ähnlicher Form ein Klangfeld im obigen Sinne (siehe Absatz vor NB 21) assoziieren (Formteil B).
Auch folgt ein Formteil C, der überleitende Funktion hat, der aus der reinen Fläche hinüberleiten möchte zum Virtuosengestus der großen Solokadenz, die etwas sehr konkretes darstellt, eben im Gegensatz zum Formteil B (der Takte 139-154).
Interessant ist dabei, dass Bach in den Takten 47-49 den Formteil A (139-146) schon vorbereitet.
NB 28 (T.146/147, Beginn Formteil B)

Natürlich ist es kompositorische Willkür einen Teil mit einem o.g. Gestus vor eine virtuose Solokadenz zu stellen, denn Kontraste fördern die Aufmerksamkeit des Hörers.

Die übrigen Teile, d.h. die Teile außerhalb der „Flächen“ samt ihren Pro- und Epilogen und die Solokadenz, sind sehr ähnlich gestrickt:
Bach bringt immer wieder melodisches Material des Soggettos. In T.101 zunächst auf der 5. Stufe von D-Dur, A-Dur, den A-Teil desselben (s.o. Absatz vor NB 10).
Dann tauchen immer mal wieder kleine Zitate auf, immer der A,a – Teil des Soggettos. Es wird aber nicht weitergeführt.
Statt es an irgendeiner Stelle weiterzuführen, erscheint in T.121 die Originalgestalt (in D-Dur) bis zum Formteil Bb. In den T.136, Zz.1- T.139, bis Zz.3 wird das Thema dann allerdings weitergeführt:
Es folgen die Formteile Bc und Ba.
Erst nach der Solokadenz bringt Bach noch einmal das komplette Soggetto in Originalgestalt.
Der erste Satz des Brandenburgischen Konzertes Nr.5 endet in Farbe und Form genauso, wie es begonnen hat.

Eine letzte Bemerkung
Es ist natürlich besonders zu beachten, wann Elemente des Soggettos kommen, an welchen Stellen und in welchen Instrumenten, wann Formteile desselben weitergeführt werden und natürlich die „zweistimmigen Inventionen“, in denen sich Flauto traverso und Violino principale „sich die Bälle zuspielen“ und wie das Material dieser „Inventionen“ aus dem Soggetto entwickelt ist oder ob es frei erfunden ist.
Diese Analyse möchte allerdings eher den Aspekt der Komposition in den Vordergrund stellen, der mit Farbe, Fläche und mit dem Erleben der Zeit zu tun hat. Mit dem Empfinden, dass man auf der einen Seite sich erfreut an dem Umgang mit melodischem Material, wie es „weltlich“ und fröhlich voranschreitet, um dann aber wieder innezuhalten und einfach nur einen Eindruck auf sich wirken zu lassen, der aus einem nur in sich pulsierenden Klangfeld, oder doch besser Klanggemälde, besteht.

Anmerkungen:

Es wurde zur Analyse eine Eulenburg Taschenpartitur verwendet.

Einige Analytische Gedanken

zum

1.Satz

„Brandenburgisches Konzert Nr.5“, D-Dur
BWV 1050

von

Johann Sebastian Bach

verfasst von:

Florian Fiechtner

Bleckede den 2.2.2005